Auf dem Prüfstand: Das Lieferkettengesetz und die Auswirkungen auf die Automobilzulieferer

München, Juli 2023

Auf dem Prüfstand: Das Lieferkettengesetz und die Auswirkungen auf die Automobilzulieferer

München, Juli 2023
D

as Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ist am 1. Januar 2023 in Deutschland in Kraft getreten. Regierung und Gesetzgeber wollen die Wirtschaft stärker in die Verantwortung nehmen, um die Einhaltung von Menschenrechten, Arbeitnehmer- und Umweltschutz sicherzustellen.

Auf diese Weise soll die Vorreiterrolle Deutschlands im europäischen Vergleich betont und die Chance genutzt werden, Lieferketten langfristig transparenter und robuster zu gestalten. Zulieferer der Automobilbranche sehen die bürokratischen Herausforderungen und Auswirkungen des Gesetzes kritisch und wünschen sich konkretere Vorgaben.

Durch eine schrittweise Einführung gilt das LkSG zunächst für Unternehmen mit Sitz oder Niederlassung in Deutschland und mehr als 3.000 Beschäftigten in Deutschland (rund 60 Automobilzulieferer). Ab 2024 wird die Schwelle auf 1.000 Beschäftigte gesenkt (rund 140 Automobilzulieferer). Festgelegte Sorgfaltspflichten gelten sowohl für die Unternehmen selbst als auch für die unmittelbaren Lieferanten, und in bestimmten Fällen werden sie auf die mittelbaren Lieferanten ausgeweitet. Dies beinhaltet die Durchführung einer regelmäßigen Risikoanalyse im Bereich Menschen- und Umweltrechte, die sämtliche Schritte von der Identifikation der Risiken bis zur Umsetzung von Maßnahmen zur Risikominderung umfasst. Im Falle von Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten drohen erhebliche Bußgelder von bis zu einer halben Million Euro oder zwei Prozent des Jahresumsatzes.

Zulieferer empfinden LkSG als bürokratische Hürde

Bereits seit einigen Jahren werden Automobilzulieferer durch die verschiedenen Vergabekriterien der Automobilhersteller (OEMs) verpflichtet, vielfältige Kriterien hinsichtlich der Menschenrechte sowie des Arbeitnehmer- und Umweltschutzes zu erfüllen und diese nachzuweisen. Mit dem neuen Gesetz verschärfen sich nun Bürokratie und Berichterstattung. Monate vor dem Inkrafttreten des LkSG waren Abteilungen wie Vertrieb, Einkauf, Personalwesen und Nachhaltigkeit intensiv damit beschäftigt, die Anforderungen des Gesetzes umzusetzen. Zulieferer der Automobilindustrie sehen gerade in den folgenden Bereichen Herausforderungen

  • Erhöhter Personalaufwand: Abhängig von der Unternehmensgröße und der Komplexität der Lieferkette werden in der Regel mehrere Vollzeitkräfte benötigt, um die Anforderungen des LkSG zu erfüllen.

     

  • Unkonkreter Umfang der Risikoanalyse: Aufgrund der unklaren Vorgaben bei der Ausgestaltung der Risikoanalyse müssen theoretisch alle unmittelbaren Lieferanten direkter und indirekter Warengruppen bzw. Materialien in die Risikoanalyse einbezogen werden. Bei mittelständischen Zulieferern sind damit 10.000 bis 15.000 Unterlieferanten betroffen. Bei den großen etablierten Zulieferern kann die Lieferantenbasis um den Faktor 2 und mehr größer sein.

     

  • Unzureichende Informationsgrundlage: Für die Durchführung der Risikoanalyse werden sowohl externe als auch interne Daten herangezogen, um das Vorliegen von Menschenrechts- oder Umweltrisiken bei den jeweiligen Lieferanten zu ermitteln. Bei den meisten Unternehmen sind die internen Stamm- und Lieferantendaten jedoch unvollständig und fragmentiert, wodurch ihre Nutzbarkeit stark eingeschränkt ist. Externe Informationen werden zudem von zahlreichen Anbietern in Form von Risikoindizes bereitgestellt. Die Auswahl der geeigneten und verlässlichen Risikoindizes erfolgt dabei ohne gesetzliche Vorgaben nach bestem Wissen und Gewissen.

  • Herausfordernde Umsetzung weltweit: Für Zulieferer mit weltweiten Lieferketten ist es schwierig, aus Deutschland heraus die Sorgfaltspflichten im eigenen Geschäftsbereich sowie in der unmittelbaren Lieferkette weltweit zu erfüllen, weil sie mit kulturellen Barrieren, einer lokalen Gesetzgebung und der Distanz zu den Lieferantenstandorten zu kämpfen haben.

     

  • Unsicherheit bei der Auswahl von Tools: Tools können bei der Umsetzung und Einhaltung der Gesetzesanforderungen unterstützen. Jedoch weisen diese gegenwärtig keine Ende-zu-Ende-Abdeckung aller Sorgfaltspflichten auf, beginnend bei der Risikoanalyse über die Dokumentation von Gegenmaßnahmen bis hin zur Nachverfolgung der Maßnahmenwirksamkeit. Da die Mehrzahl der Zulieferer eine fragmentierte Systemlandschaft vermeiden will, werden digitale Tools nur selten eingesetzt und die Risikoanalysen werden weitestgehend manuell durchgeführt. Damit einhergehend steigen jedoch Aufwand und Fehleranfälligkeit.

Wunsch nach Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben

Auch wenn viele Zulieferer in der Automobilindustrie auf einem guten Weg zur Umsetzung des LkSG sind, sorgen diese Herausforderungen dafür, dass die gesetzlichen Vorgaben in Summe kritisch gesehen werden. Zusätzlich zu den Vergabeanforderungen von OEMs – die zum Teil sogar weitreichender sind als die des LkSG – ist der administrative Aufwand stark gestiegen. Zudem sei die Wirksamkeit des Gesetzes fraglich, da es sich lediglich um eine Bemühungspflicht und nicht um eine Erfolgspflicht handelt. Für die Industrie ist unklar, welche konkreten Maßnahmen im Risikofall zu ergreifen sind und wann mit welchen Konsequenzen zu rechnen ist. Die Zuliefererindustrie wünscht sich eine industriespezifische Standardisierung, um den administrativen Aufwand zu reduzieren. Dazu gehören konkrete Handlungsempfehlungen und Vorgaben von zu verwendenden Indizes zur Bestimmung des Länder- und Industrierisikos im Rahmen der abstrakten Risikoanalyse.

Einheitliche Lieferantenfragebögen und ein standardisierter Austausch der relevanten Daten entlang der gesamten globalen Lieferkette, um die Vielfalt der Anfragen in unterschiedlichen Formaten zu reduzieren und die Erfassung erforderlicher Informationen von Lieferanten zu erleichtern, fehlen der Zuliefererindustrie. Eine Konkretisierung des LkSG würde der Zulieferindustrie helfen, den Interpretationsspielraum bei der Erfüllung der Anforderungen zu minimieren. Beispielhaft zu nennen ist eine klare Definition von zu analysierenden Lieferanten, um sicherzustellen, dass die Verpflichtungen entlang der für die Automobilbranche relevanten Lieferkette erfüllt werden. Das LkSG schwächt kleine und innovative Zulieferer

Die unterschiedliche Einschätzung von Automobilzulieferern zu Kosten und Nutzen des LkSG haben zwei Hauptursachen: Unternehmensgröße (Gewinn) und Komplexität der Wertschöpfung. Kleine und mittelständische Zulieferer, die innovative und damit häufig komplexe Wertschöpfung betreiben, spüren die Kosten des LkSG besonders. Eine Analyse zeigt, dass in der Zuliefererindustrie die Kosten zur Erfüllung des LkSG zwischen 0,05 und 1 Prozent des Jahresgewinns liegen.

Prozentuale Kosten des LkSG vom Jahresgewinn in Abhängigkeit des Unternehmensgewinns

Quelle: Berylls Strategy Advisors 

Größere Zulieferer haben zwar absolut höhere Kosten zur Erfüllung des LkSG, relativ zum Gewinn werden aber kleinere Zulieferer stärker belastet. Im Gegensatz zu den großen Zulieferern müssen sie Strukturen nachziehen oder sogar neu aufbauen. Die Kosten bestehen im Wesentlichen aus Personalkosten (direkt und indirekt) sowie Kosten für externe Dienstleister, die bei der Erfüllung der Sorgfaltspflichten unterstützen.

Batterien von Elektroautos haben das größte LkSG-Risiko

Erfahrungsgemäß liegen die größten Risiken zur Einhaltung der ESG-Standards am Beginn der Lieferkette. Das Beispiel der Hochvoltbatterie eines Elektroautos und deren Rohstoffe verdeutlicht:

  • Kobalt wird zu 75 Prozent in der DR Kongo gewonnen mit großen Problemen mit Kinderarbeit, Arbeitssicherheit und Wasserverschmutzung in Verbindung gebracht.

  • Grafit wird zu zwei Drittel in China gewonnen. Neben Problemen mit Menschenrechten gibt es hier, bei natürlicher Gewinnung, erhebliche Umweltrisiken durch die eingesetzten Chemikalien.

  • Aluminiumgewinnung ist ebenso kritisch zu beurteilen. Das hierfür benötigte Bauxit wird häufig mit Umweltverschmutzung, illegalen Rodungen, sowie Kinderarbeit in Verbindung gebracht.


Insgesamt fällt auf, dass die Komponenten eines BEV, in denen aktuell die größten Innovationen stattfinden, ein besonders hohes LkSG-Risiko aufweisen (Batterie, E/E, Elektromotor). Das liegt daran, dass hier häufiger kritische Rohmaterialien, wie seltene Erden, Kobalt, Silizium und Aluminium, verarbeitet werden. Aus Nachhaltigkeitsaspekten wird daher das Gesetz zum richtigen Zeitpunkt eingeführt, um auch die Einhaltung von ESG-Standards entlang der Lieferkette zu gewährleisten. Dies trägt zur Förderung einer nachhaltigeren Entwicklung der E-Mobilität bei und stärkt das Vertrauen der Verbraucher in die Nachhaltigkeitsleistung der Automobilbranche.

Veränderung von Umsatz und Marge, Top 100 Zulieferer
(in %)

Quelle: Berylls Strategy Advisors 

Trotz Kritik und Kosten ist das LkSG eine Chance

Die ohnehin unter Margendruck stehende Zuliefererindustrie wird durch die Kosten und erhöhten Aufwände des LkSG weiter belastet und übt Kritik. Die Umsetzung der Gesetzesanforderungen birgt Unsicherheit, die mit potenziellen Bußgeldern verbunden sind und daher ein erhebliches Risiko darstellen. Oftmals wird nur das Mindestmaß eingehalten, um die Pflichten des LkSG zu erfüllen, anstatt zusätzlichen Mehrwert zu schaffen. Dennoch kann die deutsche Zuliefererindustrie langfristig von der Etablierung nachhaltigerer und ethischerer Lieferketten profitieren. Durch die konsequente Umsetzung des LkSG bauen die Zulieferer wertvolles Know-how auf, um potenzielle Risiken frühzeitig zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Dies trägt dazu bei, ihre Resilienz, Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu verbessern. Die Automobilindustrie arbeitet bereits an standardisierten Lösungen wie beispielsweise Catena-X zum Datenaustausch entlang der gesamten globalen Lieferkette. In dem vom deutschen Wirtschaftsministerium geförderten Konsortium arbeiten OEMs, Zulieferer und Digitalunternehmen am ersten offenen Datenökosystem. Der Dataspace vernetzt alle Akteure entlang der Automotive Supply Chain (vom n-Tier bis zum Recycler) und ermöglicht einen standardisierten, einfachen und sicheren Datenaustausch nach Gaia-X-Standard. Dadurch können Lieferanten im Rahmen des LkSG-Risikoanalysen mit weniger Aufwand und einer besseren Informationsgrundlage durchführen.

Ab Mitte der Dekade ist zu erwarten, dass ein vergleichbares Gesetz auf europäischer Ebene eingeführt wird. Blaupause hierfür wird das LkSG sein. Hier haben deutsche Zulieferer die Möglichkeit, sich von europäischen Wettbewerbern abzuheben und in Vergabeprozessen bevorzugt zu werden, indem sie entlang der gesamten Lieferkette Verantwortung übernehmen und Praktiken für verbesserte Menschenrechte, Arbeitnehmer- und Umweltschutz betonen. Abschließend erwarten und belohnen zukünftig Mitarbeiter, Kunden, aber auch der Kapitalmarkt ethisches und nachhaltiges Handeln – dies beinhaltet auch integre Lieferketten.

Autoren
Dr. Alexander Timmer

Partner

Lars Behr

Senior Consultant

Fabian Dinescu

Senior Consultant

Daniel Willenbrink

Senior Venture Associate

Felix Günther

Consultant

Dr. Alexander Timmer

Dr. Alexander Timmer (1981) ist seit Mai 2021 als Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Markteintritts- und Wachstumsstrategien, M&A und kann auf eine langjährige Erfahrung im Operations-Umfeld zurückschauen. Dr. Alexander Timmer berät seit 2012 Automobilhersteller und -zulieferer im globalen Kontext. Er verfügt über ein fundiertes Expertenwissen in den Bereichen Portfolioplanung, Entwicklung und Produktion. Zu seinen weiteren fachlichen Schwerpunkten zählen unter anderem Digitalisierung und der Themenkomplex rund um die Elektromobilität.
Vor seinem Einstieg bei Berylls Strategy Advisors war er unter anderem für Booz & Company und PwC Strategy& als Mitglied der Geschäftsführung in Nordamerika, Asien und Europa tätig.
Im Anschluss an sein Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen und der Chalmers University in Göteborg promovierte er im Bereich der Fertigungstechnologien am Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen.