DACH Automobilindustrie
ie zehn Jahre währende Periode kontinuierlichen Wachstums mit Rekordergebnissen der Automobilzulieferindustrie ist vorbei. Digitale Revolution, Kundenzentrierung von OEMs, Ausdehnung der automobilen Wertschöpfungskette um Infrastrukturbereitstellung und Mobility Operations verändern das Wirtschaftssystem für Zulieferer dramatisch. In diesem Umfeld sieht Berylls acht Herausforderungen, zu denen jeder CEO eines Automobilzulieferers Antworten liefern muss.Um eins vorweg zu nehmen, auch 2019 wurde wieder kräftig geshoppt und es gab erneut fast 300 Transaktionen entlang der Mobilitätswertschöpfungskette über das Jahr verteilt.
Die Automobilindustrie stand für höchste Disziplin in seinem Wertschöpfungssystem: Klare Strukturen entlang der gesamten Lieferkette, gute Planbarkeit und solide Prognosen sowie verlässliche Beziehungen. VUCA ist der Gegenpol, der zu massiven Störungen in diesem System führt. Volatility (Schwankungen), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit) nehmen deutlich zu, Vorhersagen werden dadurch schwieriger oder gar unmöglich. Eine auf Erfahrungswerten, Stabilität und Sicherheit basierte Führung wird erschwert. Kleine, ungeplante Abweichungen schlagen mit großer Wirkung bei den Zulieferern zu Buche und führen zu einer Kettenreaktion entlang der Wertschöpfung.
CEOs müssen ein Organisations- und Führungsmodell (er)schaffen, mit dem sie ihr Unternehmen vor dem Hintergrund von VUCA sicher steuern können.
2010 bis 2018 waren für die Automobil(zuliefer)industrie fette Jahre, geprägt durch permanentes Wachstum, weitgehende Kostenkontrolle, Stärkung der Eigenkapitalstrukturen, solide Finanzen, verbesserte Wettbewerbsfähigkeit. Die kommenden fünf Jahre werden deutlich schwieriger werden: Überproportional gestiegene und steigende Kosten (Lohnsteigerung im Osten, hohe Abschlüsse im Westen, steigende Rohstoffpreise, geringe Materialkostenreduzierungen, steigende Finanzierungskosten, …); erschwerte Finanzierung (steigende Zinsen, Automobil als „Krisenindustrie“ aus Sicht von Banken, …); sinkende Produktivitätsverbesserungen; steigende Komplexität auf Kundenseite; Limitationen der Globalisierung (steigende Logistikkosten, …); hohe Investitionen für Innovation; … Die durchschnittliche EBIT Marge von 8 Prozent bei Zulieferkonzernen und 6-7 Prozent bei Mittelständlern wird bis 2025 auf zirka 5 Prozent sinken.
CEOs müssen in den „Sanierungsdauermodus“ schalten, um permanent die Wirtschaftlichkeit ihres hochkomplexen Wertschöpfungssystems in einer sich ständig wandelnden Welt zu sichern.
Die CASE-Technologien stehen im Zentrum der Veränderung von Mobilitätsleistungen. Durch ihre systemische Verknüpfung, die starke funktionale Verbesserung des Produktes „Mobilität“ und den gravierenden Eingriff in vorhandene Lösungen ist deren Entwicklung, Herstellung und Einführung aufwändig und langwierig: CASE kostet viel und liefert bislang kaum einen oder häufig gar keinen wirtschaftlichen Beitrag für Unternehmen der Automobilindustrie. Das wird sich auch im nächsten Jahrzehnt nicht ändern; die Investitionen zur Entwicklung von CASE-Technologien liegen im zweistelligen Milliardenbereich. Gleichzeitig fließt Wert aus den traditionellen Modulen ab, allen voran dem Verbrennungsmotor (ICE). Neuentwicklungen werden eingestellt, Investitionen finden nicht statt, Finanzmittel werden knapp. Der Spagat zwischen jahrelangen verlustreichen Investitionen in CASE-Technologien und ausbleibenden Gewinnen aus dem traditionellen Geschäft ist nicht mehr zu meistern. Die Verlierer dieser Entwicklung sind die ICE-abhängigen Unternehmen (die immerhin für 25 bis 30 Prozent der Wertschöpfung in der Automobilindustrie stehen), traditionellen Low-Tech-Lieferanten sowie der klassische Mittelstand, der sich die hohen und riskanten Geschäfte nicht mehr leisten kann. Auf der anderen Seite stehen als Gewinner die großen Konzerne (Bosch, Conti, ZF, …), Automobilzulieferer im CASE-Umfeld, die neuen Mobilitäts-Startups sowie Nischenspezialisten.
CEOs müssen sich von „Altlasten“ trennen, neue Geschäftsmodelle zur Partizipation am von CASE initiierten Wandel der Automobilindustrie entwickeln und gleichzeitig hohe Basisinnovationen mit langen Amortisationszeiten bei einem wegbrechenden Kerngeschäft stemmen.
Der Wettbewerb in der Zulieferindustrie war schon seither gnadenlos. Dem Darwin‘schen Gesetz des „Survival of the Fittest“ folgend werden schwache Zulieferer schnell aussortiert. Doch dies geschah innerhalb eines stabilen Wirtschaftssystems. Eine permanente und kontinuierliche Weiterentwicklung über technologische Neuerungen hat die Automobilindustrie und ihre Zulieferer auf ein hohes Innovationslevel gehoben. Das System sah vor, dass sich aller Wandel aus dem System selbst heraus finanziert, dass in kleinen Schritten Innovationen in den Markt eingeführt werden und dass Kompetenzen schrittweise aufgebaut werden. Eine aktuelle Berylls-Studie zu 1.000 Mobilitäts-Startups zeigt, dass in den vergangenen fünf Jahren über Euro 180 Milliarden in Mobilitäts-Wagniskapital gesteckt wurde. Im gleichen Zeitraum wurde für Investitionen in Forschung und Vorentwicklung bei den traditionellen Automobilplayern nur etwa die Hälfte ausgegeben! Startups suchen zudem eher disruptive Innovationen als revolutionäre Entwicklungen: Ein komplettes Auto aus dem 3D-Drucker, Autos, die über dem Boden schweben, fliegende Fahrzeuge, das Null-Unfall-Automobil etc. Diese visionären Geschäftsmodelle gepaart mit schier „unendlichen“ finanziellen und auch intellektuellen Ressourcen treffen nun im Wettbewerb um die beste Mobilitätslösung der Zukunft aufeinander … ein „Clash of Cultures“.
CEOs müssen die Risiken durch Tech-Startups mit disruptiven Ansätzen auf ihr Geschäftsmodell bewerten sowie Chancen daraus identifizieren, von denen sie profitieren können.
Gerade in westlichen Gesellschaften werden die Nachteile individueller Mobilität immer stärker sichtbar: Ressourcenverbrauch, Verkehrsunfälle, Zeitverlust durch Staus, Emissionen (Luft, Lärm, Wasser) etc. Das Auto wird zunehmend zum Buhmann der Gesellschaft. Junge Menschen wenden sich ab. Andere Branchen und Berufe – und damit auch deren Unternehmen – gewinnen an gesellschaftlichem Ansehen und ziehen Talente an sich, weg von der einstigen Vorzeigeindustrie Automobil.
CEOs müssen ihr Unternehmen und die gesamte Automobilbranche wieder attraktiv machen, um weiterhin die besten Talente zu gewinnen.
Die Zusammenarbeit zwischen OEM und Zulieferern war noch in den vergangenen 30 Jahren nie partnerschaftlich und immer von Kostendruck, Lieferanten-Kunden-Beziehung und Generierung von Wettbewerb geprägt. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Ausnahme sind systemrelevante Player in spezifischen und für OEMs kritischen Bereichen. Durch VUCA und die enormen Umbrüche ist es den OEMs kaum noch möglich, verlässliche und stabile Beziehungen zu ihren Lieferanten aufrecht zu erhalten. Die ehemals klare und in gewissen Umfängen vorhersehbare Zukunft löst sich auf, die Verlässlichkeit nimmt rapide ab. Die Folge: Anläufe werden verschoben, Fahrzeugprojekte plötzlich gestrichen, Stückzahlen bleiben deutlich unter der Planung oder steigen stark an, Spezifikationen werden in letzter Minute geändert, kommerzielle Vereinbarungen werden gebrochen. Parallel dazu entstehen komplett „neue“ Kundenbeziehungen mit Tech-Startups oder asiatischen Startup-OEMs, die wenig oder keine Kenntnisse von den Mechanismen der Automobilindustrie haben (und dies ggf. auch nicht wollen). Die tektonischen Verschiebungen haben längst begonnen; asiatische und hier insbesondere chinesische OEMs, kombiniert mit dem durch seine Größe an Bedeutung gewinnenden chinesischen Automobilmarkt führen zu einer Veränderung der Kräfteverhältnisse. China ist für die Automobilindustrie das Maß aller Dinge und nicht mehr Europa, Japan oder die USA. Sind Daimler, BMW oder Audi die Telefunken, Grundigs und DUALs der 2020-ger Jahre?
CEOs müssen ihr Unternehmen beim Umgang mit ihren Kunden an die neuen globalen Machtverhältnisse anpassen.
Die gesamte Machtbalance in der Mobilitätsbranche verschiebt sich nach China/Asien. Jedes dritte Auto wird in China produziert. Auch zukünftig wird China doppelt so stark wachsen wie die anderen Kernmärkte. Bei der Zukunftstechnologie E-Mobilität sind Wachstum und Marktdurchdringung in China höher als im Rest der Welt. Es existiert eine hohe Bereitschaft, in neue OEM-Marken und Mobilitäts-Startups in China zu investieren. „China“ kauft weiterhin in High-Tech-Ländern Zulieferer zu; die Übernahme von westlichen OEMs ist nicht ausgeschlossen. Die staatliche Wirtschaftspolitik hat die Mobilitätsbranche als Schlüsselbranche definiert und unterstützt deren Aufstieg. Insgesamt wird China für die OEMs zum „North Star“ der Absatzmärkte. Für die traditionelle Automobilindustrie bedeutet es, dass sie chinesischer werden muss. Das gilt für alle Aspekte des eigenen Geschäftsmodells.
CEOs müssen den Spagat zwischen Aufbau von Kompetenzen in China und der Sicherung dieser im „Westen“ schaffen.
Das gesamte automobile Wertschöpfungssystem erwartet immer reibungslosere und effizientere Prozesse: Null PPMs, JIT-/JIS-Lieferungen, Simultaneous Engineering, 24/7, … Und dieses System muss global funktionieren. Zielpreise für Komponenten werden auf Basis „perfekter“ Organisationen ermittelt. Die Realität sieht anders aus: Anlaufprobleme, Qualitätskosten, Mehrarbeit durch Schnittstellenprobleme, hohe Personalfluktuation in BCC-Ländern, … Die Mehrzahl der Automobilzulieferer hat in ihrem Geschäftssystem klare Defizite; es läuft überwiegend NICHT reibungslos.
CEOs müssen eine High-Performance-Organisation formen, die einerseits alle Kundenanforderungen best-in-class erfüllt, andererseits dabei maximale Profitabilität erzeugt.
Unser Ausblick: Die vergangenen 10 Jahre waren ein Klacks gegenüber der zu bewältigenden Agenda der kommenden 10 Jahre.
Dr. Jan Dannenberg (1962) ist seit 1990 Berater der Automobilindustrie und seit Mai 2011 Gründungspartner bei Berylls Strategy Advisors. Bis zum Frühjahr 2011 war er acht Jahre international als Partner – davon fünf Jahre als Associate Partner – für Mercer Management Consulting und Oliver Wyman tätig. Er ist ausgewiesener Spezialist für Innovationen und Markenmanagement in der Automobilindustrie und berät im Schwerpunkt Zulieferer und Investoren zu Strategie, Mergers & Acquisitions und Performance Improvement. Zudem ist er Geschäftsführer von Berylls Equity Partners, eine auf Mobilitätsunternehmen spezialisierte Beteiligungsgesellschaft.
Bachelor of Arts in Volkswirtschaftslehre von der Stanford University, Studium der Betriebswirtschaftslehre und Promotion an der Universität Bamberg.