Die Stimmung trübt sich ein – Zulieferer verlieren ihren Optimismus bezüglich Elektromobilität

München, Juli 2024

Die Stimmung trübt sich ein - Zulieferer verlieren ihren Optimismus bezüglich Elektromobilität

München, Juli 2024
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lickt man aktuell auf die Schlagzeilen rund um die Elektromobilität, sind diese vor allem negativ geprägt: Autovermieter wie Sixt und Hertz reduzieren den Anteil an Elektrofahrzeugen in ihren Flotten, Audi will weniger Elektromodelle auf den Markt bringen, Mercedes stoppt eine komplette E-Plattform.

Wo man auch hinsieht, die Euphorie bei der Elektromobilität klingt ab. Denn es gibt noch zu viele Hürden, als dass sich die Elektromobilität in der Breite durchsetzen kann. Dazu zählen unter anderem unsichere Restwerte, eine teils unzureichende Ladeinfrastruktur und vergleichsweise hohe Preise beziehungsweise Aufschläge im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Diese Ernüchterung ist zwar keine Abkehr vom eingeschlagenen Kurs in Richtung Elektromobilität, jedoch zumindest eine weitere Abschwächung der Geschwindigkeit und damit eine Verschiebung auf der Zeitachse.

Für die Zulieferer, die ohnehin schon mit vielfältigen Herausforderungen (zum Beispiel geringen Volumina, schnellen Innovationszyklen, niedrigen Margen) kämpfen, kommt diese Entwicklung zur Unzeit. Denn war die Stimmung bei den Zulieferern in Bezug auf die Elektromobilität im letzten Jahr noch sehr optimistisch (wenn nicht zu optimistisch), so hat sich diese gemäß diesjährigem Berylls Supplier Executive E-Mobility Survey 2024 merklich abgekühlt.

Zulieferer blicken weniger optimistisch in die elektrische Zukunft

Dass der eingeschlagene Kurs der Elektromobilität weiterhin Bestand hat, zeigt sich auch in den Befragungsergebnissen. Hängen heute noch 70 % der Zulieferer mindestens zu einem Viertel ihres Umsatzes vom Verbrenner ab, erwarten dies in fünf Jahren nur noch 55 %. Dabei sieht mit 69 % die große Mehrheit der Befragten die Elektromobilität als Chance für ihr Unternehmen – verglichen mit dem Vorjahreswert von 77 % zeigt sich aber eine deutlich trübere Stimmung. Dies ist nicht weiter verwunderlich angesichts verschärfter Marktbedingungen, die sich auch in der Erwartung zum Einfluss auf den Umsatz in den nächsten fünf Jahren zeigt. Gingen im letzten Jahr noch 75 % von einer Verbesserung aus, sind es in diesem Jahr nur noch 55 %. Dasselbe gilt auch für die Marge: Hier haben im letzten Jahr noch 43 % mit einem positiven Einfluss in fünf Jahren durch die Elektromobilität gerechnet, wohingegen 2024 nur noch 25 % höhere Margen erwarten.

Ausgewählte Ergebnisse E-Mobility Supplier Survey 2023 & 2024

Quelle: Berylls by AlixPartners

Strategische Pattsituation

Zulieferer sind dabei oftmals in einer schwierigen Situation. Wollen sie Marktanteile halten oder erobern, so fühlen sie sich gezwungen, das zügige Tempo der technologischen Entwicklung mitzugehen oder gar anzutreiben. Dabei zahlt sich die Innovation jedoch häufig nicht über hohe Margen aus. Schließlich sorgen zahlreiche Wettbewerber für einen enorm umkämpften Markt mit niedrigem Preis- respektive Margenniveau. Die Zulieferer sind dabei in einem gefährlichen Teufelskreis gefangen. Nur wenn sie mehr verkaufen, gibt es eine Chance auf Rentabilität durch Skaleneffekte. Gleichzeitig bedeutet ein Mehrverkauf der häufig defizitären Komponenten für die Elektromobilität eine Verschlechterung der Gesamtmarge beziehungsweise das Erfordernis von Subvention durch das übrige Geschäft.

Divestment oder fokussiertes Wachstum

Auch wenn die überwältigende Mehrheit der befragten Zulieferer (86 %) zufrieden ist mit ihrer Elektromobilitätsstrategie, so lässt sich auch hier ein eher zu optimistischer Blick vermuten angesichts der beschriebenen weiteren Verschärfungen der Situation. In jedem Fall gilt es für die Zulieferer, das Elektromobilitätsgeschäft kritisch zu beleuchten und in vielen Fällen auch gezielt das ökonomische Rational auf den Prüfstand zu stellen. Hierbei sollte es auch keine Tabus geben respektive sollten Divestments auch eine Option sein, die bewertet werden kann oder in vielen Fällen gar muss. Große Tier-1-Zulieferer haben es zuletzt vorgemacht und sich aus Komponenten wie Batteriepacks, Elektromotoren, Leistungselektronik oder Batterie-Management-Systemen zurückgezogen. Dabei konnte trotz vermeintlich attraktiver Marktgröße und -wachstum auf absehbare Zeit kein positives Ergebnis erwartet werden, womit Renditeansprüche nicht zu erfüllen und Kapitalallokationen nicht zu rechtfertigen waren.

Stehen die Zeichen auf Verbleib, so muss die Innovationsstrategie vor dem Hintergrund kürzer Innovationszyklen mit oftmals fehlender Rentabilität grundlegend hinterfragt werden. Ferner gilt es, Anläufe effizient und fehlerfrei zu organisieren, fehlende Abrufe unmittelbar bei den OEMs zu „claimen“ und eine gut durchdachte Wettbewerbspositionierung zu definieren. Auch eine hohe Flexibilität und teilweise Technologieoffenheit sollten elementare Themen in der Strategie sein. Schließlich schwenken zahlreiche OEMs aktuell auf das Modell der Technologieoffenheit um, analog zu BMW. Damit einhergehend werden beispielsweise Motorenprogramme verlängert, was wiederum denjenigen Zulieferern zugutekommt, die in diesen Bereichen noch aktiv sind. Hier merken OEMs bereits, dass ihre ehemalige Lieferantenbasis in den verbrennerabhängigen Komponenten geschrumpft ist und Zugeständnisse bei Preisen gemacht werden müssen.

Fest steht: Das Elektromobilitätsgeschäft ist und bleibt anspruchsvoll und braucht vielfach noch Subvention von anderen Geschäftsbereichen, ehe es langfristig zu einem attraktiven Geschäft werden wird. Zulieferer müssen sich aktuell mehr denn je die Frage stellen, wie sie sich zu und in diesem hart umkämpften Markt positionieren wollen.

Autor
Dr. Jürgen Simon

Associate Partner

Dr. Jürgen Simon

Dr. Jürgen Simon (1986) ist als Associate Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Vertriebs- und Unternehmensstrategien sowie M&A und kann auf eine langjährige Beratungserfahrung zurückschauen. Er berät seit 2011 Automobilhersteller und -zulieferer und verfügt über fundiertes Expertenwissen in den Bereichen ganzheitliche Strategieentwicklung, Geschäftsmodelle und Commercial Due Diligence. Weitere Schwerpunkte liegen in Markteintrittsstrategien sowie Themen rund um das „Software Defined Vehicle“. Als diplomierter Ökonom der Universität Hohenheim hat er vor seinem Einstieg bei Berylls am Institut für Unternehmensführung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) promoviert.