Die Transformation der Autoindustrie fordert ihren Tribut – Bedarf an Restrukturierung steigt

München, Juli 2023

Die Transformation der Automobilindustrie fordert ihren Tribut - Bedarf an Restrukturierungen steigt

München, Juli 2023
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ie aktuelle Transformation der Automobilindustrie stellt besondere Anforderungen an die Restrukturierung; sie muss von allen Stakeholdern als Chance begriffen werden.

In den vergangenen Jahren hat die Automobilindustrie eine Phase großer Veränderungen und Unsicherheit durchlaufen. Auslöser waren die Covid-19 Pandemie, der Krieg in der Ukraine und der Übergang zu Elektroantrieben. Besonders betroffen von dieser Transformation der Automobilindustrie sind dabei Zulieferer, wie zuletzt die Insolvenzen namhafter Großunternehmen wie Dr. Schneider und Borgers zeigten. Restrukturierung ist wieder ein aktuelles Thema in der Branche. Die betriebswirtschaftliche Mechanik bleibt dieselbe wie in früheren Zeiten, aber die ergriffenen Maßnahmen sollten angepasst holistischer werden.

Transformation Der Automobilindustrie: Zulieferer haben das Nachsehen

Während die OEMs in der Krise auch bei geringeren Stückzahlen durch eine Fokussierung auf margenstarke Fahrzeuge Gewinne verzeichneten, sah dies bei Zulieferern anders aus. Im Jahr 2022 waren die Margen der OEMs durchschnittlich ein Drittel höher als die der Zulieferer. Insbesondere im zweiten Quartal mussten viele Lieferanten einen Margeneinbruch verzeichnen.

Die Premiumstrategie vieler heimischer Automobilhersteller wird dazu führen, dass auch in Zukunft keine neuen Stückzahlrekorde erreicht werden. Hinzu kommt, dass durch die stetig steigende Anzahl elektrifizierter Fahrzeuge viele Komponenten entfallen. Die Wertschöpfung am Fahrzeug wird neu aufgeteilt. Der eigentliche Fahrzeugbau verliert, Softwareanteile gewinnen an Bedeutung. Nur Zulieferer, die sich auf die neuen Gegebenheiten einstellen und ihre Strategie darauf ausrichten, werden in der Lage sein, dem Druck von neuen Playern, die in den Markt drängen standzuhalten. Zulieferer wie der Batteriehersteller CATL waren vor zehn Jahren noch unbekannte Start-ups. Heute dominieren sie in ihren Gebieten. Das erhöht potenziell den Druck der Transformation der Automobilindustrie.

Es ist nicht verwunderlich, dass etablierte Zulieferer sich ein großes Stück vom künftig kleineren Kuchen sichern wollen. Den OEMs ist das recht, da der Wettbewerb für niedrige Einkaufspreise sorgt. Nachdem die Risikoabteilungen von der Corona-Krise noch überrascht wurden, haben sie zwischenzeitlich ihre Hausaufgaben gemacht. Welche Zulieferpleite man riskieren will, scheint abgemacht.

Insbesondere bei Zulieferern mit bereits geschwächten Eigenkapitalquoten besteht die Herausforderung, im Wettbewerb um künftige Plattformen zu bestehen und die hohen Investitionskosten für solche Plattformen zu tragen. Gleichzeitig sind seit Ende 2021 stark steigende Refinanzierungskosten und schärfere Anforderungen bei Kreditanträgen zu beobachten. Dies erschwert es insbesondere mittelständischen Familienunternehmen, ihre Eigenständigkeit zu bewahren und eine Liquiditätskrise zu vermeiden.

Umdenken erforderlich

Wie die Insolvenzen von Dr. Schneider und Borgers zeigen, kann die aktuelle Krise Unternehmen jeder Größe betreffen. Es ist daher von großer Bedeutung, frühzeitig und ganzheitlich Probleme zu erkennen und gegenzusteuern. Viele Unternehmen der Automobilindustrie begehen den Fehler, das Umsatzniveau um jeden Preis halten zu wollen und ihre Anlagen auszulasten, um Deckungsbeiträge oder Leasingraten zu erwirtschaften. Dieses Vorgehen nimmt ein stabiles Geschäftsumfeld an und ist aktuell ungeeignet. Stattdessen müssen Unternehmen sich darauf einstellen, dass das Umfeld weiterhin volatil bleiben wird. Sie sind oftmals besser gerüstet, wenn sie die Realität anerkennen, ihre Kapazitäten schnell anpassen und flexibel gestalten. Ein Fokus auf ein profitables Kerngeschäft und schnelle Maßnahmen zur Kostensenkung können erforderlich sein. Dieses Umdenken ist jedoch nicht einfach und emotionalisiert. Sogenannte IDW S6 Gutachten, als Regelwerkzeug vieler Restrukturierungen, konterkarieren zusätzlich die erforderlichen Maßnahmen durch ihre Forderung nach einer positiven Umsatzentwicklung.

Ganzheitliche Sichtweise

Eine Restrukturierung muss von allen Stakeholdern als Chance begriffen werden, ein Unternehmen zukunftsfähig zu machen und auf Profitabilität auszurichten. Dabei gilt es, drei grundlegende Aspekte zu berücksichtigen:

1) Die Strategie und Führung müssen zur neuen Realität in der Autoindustrie passen, um eine lediglich kurzfristige Lösung zu vermeiden. Es gilt eine mögliche Unternehmenskrise frühzeitig zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.

2) Maßnahmen im Bereich operatives Handeln sind wichtig, um sicherzustellen, dass ein Unternehmen einen entsprechenden Output als Beitrag zur Restrukturierung leistet. Ein ausgefeilter Methodenbaukasten ist essenziell, sodass die Maßnahmen einen bestmöglichen Wirkungsgrad erreichen können.

3) Insbesondere, aber eben nicht ausschließlich, müssen die Finanzen des Unternehmens in den Griff gebracht werden. Durchhaltevermögen ist dabei wichtig und von allen Stakeholdern erforderlich, da Restrukturierungsmaßnahmen oft Abschmelzeffekte von bis zu 50 Prozent erreichen können.

Ganzheitliche Sicht auf Unternehmensrestrukturierungen
360° – Ansatz

Quelle: Berylls Strategy Advisors

Die gegenwärtigen Entwicklungen und Transformationen in der Automobilindustrie machen klar, dass betroffene Unternehmen sämtliche gewohnten Rahmenbedingungen auf den Prüfstand stellen müssen. Vor diesem Hintergrund sollten sich Manager und Gesellschafter bewusst sein, dass einfache, kurzfristige Lösungen in Restrukturierungssituationen nicht ausreichen, um nachhaltige Ergebnisse zu erzielen. Vielmehr bedarf es eines umfassenden und ganzheitlichen Ansatzes, der Unternehmen auf allen Ebenen optimiert und zukunftsfähig ausrichtet.

Autoren
Philipp Stütz

Associate Partner

Anton Knaus

Research

Philipp Stütz

Philipp M. Stütz (1981) verstärkt seit Anfang 2021 das Berylls Operations Team. Er besitzt über fünfzehn Jahre Erfahrung in der Automobilindustrie. Davon hat er sieben Jahre bei einem internationalen Automobilzulieferer mit Einsätzen in Spanien, den USA und Mexiko und über acht Jahre in der Beratung verbracht. Sein Beratungsschwerpunkt liegt im Bereich Operations Excellence, insbesondere in großen Transformationsprogrammen, Prozessoptimierungen und der Effizienzsteigerung in der Administration und indirekten Produktionsbereichen. Zu den Klienten, die er betreut, zählen Zulieferer wie OEMs gleichermaßen.
Philipp M. Stütz ist technisch orientierter Diplomkaufmann und hat an den Universitäten Stuttgart und Straßburg studiert.