KI ist überall – doch wie setzt man sie bestmöglich ein? Ein kurzer Ratgeber für Zulieferer

München, Juli 2024

KI ist überall – doch wie setzt man sie bestmöglich ein? Ein kurzer Ratgeber für Zulieferer.

München, Juli 2024
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ulieferer müssen Chancen durch KI kurzfristig nutzen und dabei den Mehrwert zugleich realistisch und langfristig bewerten

Die Begeisterung für künstliche Intelligenz (KI) in der Automobilindustrie ist medial ungebrochen, die Management-Erwartungen an Potenziale zur Kostensenkung und damit auch an Ergebnissteigerung durch KI sind hoch – berechtigterweise. Das ist auch bei den 100 weltweit besten Automobilzulieferunternehmen so: Die meisten beziehen zu KI öffentlich Stellung – bei den medial aktivsten Unternehmen ist künstliche Intelligenz in über 5 % der gesamten Berichterstattung ein Thema (s. Grafik 1). Spitzenreiter Harman erwähnt den Themenbereich KI sogar in mehr als 10 % aller relevanten Berichterstattungen.

Die Dynamik der letzten Jahre zeigt allerdings auch: In Zeiten der wirtschaftlichen Herausforderungen stehen Investitionen in das „Zukunftsthema KI“ auch immer Risiken gegenüber – auf der einen Seite das Risiko, die Wichtigkeit von KI zu unterschätzen; gravierender ist jedoch das Risiko einer falschen Zurückhaltung in diesem Bereich. Dieser Artikel hilft als kompakter Ratgeber dabei, anhand weniger einfacher Fragen den Einsatz von KI in der Zulieferbranche erfolgreich zu navigieren: Was gilt es zu tun, was zu lassen? Wo lohnt es sich, Akzente für die langfristig erfolgreiche Wettbewerbsposition zu setzen, und wo ist technologische Innovation „einfach nur Pflicht“?

Kernfrage: Was gilt es zu tun?

Unsere Erfahrung zeigt: Die in der Nutzung von KI führenden Automobilunternehmen haben kurzfristig gehandelt und sind entschlossen gewesen, Geschäftsabläufe durch KI zu optimieren und aktiv Chancen wahrzunehmen. Im Fokus dieser Bemühungen stehen Effizienzsteigerungen „entlang des Prozesses“ und „im Produkt“.

Entlang des Prozesses“ umfasst die Optimierung an allen Stellen, die sich aufgrund von Menge, Dauer und Aufwand bzw. Komplexität für die maschinelle Optimierung eignen. Dies sind zum einen „erwartbare“ Aufgaben, wie die typischerweise manuell aufwändige Erstellung und Kontrolle von Lastenheften durch KI – Vervollständigung, Muster- und Fehlererkennung oder Übersetzung können Qualität und Geschwindigkeit steigern. Zum anderen kann sich KI allerdings auch für „unerwartete“ Anwendungsfälle eignen, wie die KI-gestützte Senkung von Elektrizitätskosten in der Produktion durch Leckage-Detektion in Druckluftleitungen. Das Spektrum ist also sehr breit und eine auf die individuelle Unternehmensposition abgestimmte Priorisierung des richtigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses ist erfolgsentscheidend.

Wenngleich man künstliche Intelligenz „im Produkt“ meist mit Personalisierung im Fahrzeug verbindet, hat sie auch in der individualisierten Kundeninteraktion zwischen bzw. mit Zulieferunternehmen ihre Daseinsberechtigung. Diskussionen mit Branchenteilnehmern zeigen hier, dass der Fokus darauf liegt, initial Informationen für die Kunden bereitzustellen. Dies geschieht beispielsweise durch kontextsensitive digitale Agenten und Chatbots. Aus Zulieferersicht mag das vermeintlich nur eine untergeordnete Rolle spielen, doch genau hier können unentdeckte Chancen liegen: Der niederschwellige Zugang zu Produkt- und Auftragsinformationen durch einen intelligenten Chatbot-Agenten kann im Vertrieb insbesondere Neukunden helfen und dabei gleichzeitig sehr effizient skalieren, ohne dass ein Personalzuwachs nötig ist. Hinzu kommt: KI-gestützte Vertriebswerkzeuge können idealerweise aufwandsarm auf bereits vorhandenen Produktdaten aufsetzen und mittels der Auswertung der gestellten Anfragen Transparenz über Nutzerverhalten schaffen. Dies ermöglicht wiederum fundiertere Entscheidungsgrundlagen für inkrementelle Verbesserung. Somit kann sich KI-Investition „im Produkt“ auch für vermeintlich nicht digitale Produktportfolios mittelfristig lohnen.

Anteil der Artikel, in den KI erwähnt wird – Zeitraum: 2023 (letzten 18 Monate)

Basis Datenquelle: mehr als 100 Quellen, darunter InvestorPlace, Zacks Investment Research, Seeking Alpha, Reuters, CNBC, Market Watch, Forbes, Bloomberg Technology, Yahoo etc.

Folgefrage: Was gilt es zu lassen?

Der Einsatz von KI geht eigentlich immer auch mit der Diskussion um Risiken einher. Vorbehalte zum sicheren Umgang mit vertraulichen und wettbewerbsrelevanten Daten, kommerzielle Bedenken um Initialentwicklungskosten und langfristige „Lock-in“-Effekte, aber auch Ethik und Bias spielen berechtigterweise eine große Rolle. Denn die Natur von (generativer) KI macht es mitunter schwerer, Ergebnisfehler oder unbewusste Vorurteile und ungewolltes Verhalten eines KI-Modells aufzudecken. Automobilzulieferer dürfen sich dadurch jedoch nicht lähmen lassen.

Wichtig ist, den Technologieeinsatz auf ein solides Fundament aufzusetzen. Ein zentraler Eckpfeiler dieses Fundaments ist es, den richtigen Mix an KI-Partnern zu wählen, die – zusätzlich zu eigenen Experten – bei der Implementierung von KI-Lösungen eine wichtige und effiziente Rolle einnehmen können. So hilft ein kompetenter Technologiepartner nämlich dabei, die zuvor genannten grundlegenden Risiken direkt zu adressieren. Denn gerade im Bereich der digitalen Agenten beruht das Geschäftsmodell des Technologiepartners oftmals darauf, dass der Kunde die KI erfolgreich einsetzen kann. Somit sind eine hohe Ergebnisqualität und Datensicherheit sowie die damit einhergehende langfristige Nutzung eines digitalen Agenten im direkten Interesse des Technologiepartners.

Mit Blick auf den Markt zeigt sich, dass diese Rechnung aufgeht: Aufgrund der hohen technologischen Entwicklungsgeschwindigkeit sind Zulieferer zunehmend bereit, „schnelldrehende Start-ups“ auszuprobieren, anstatt lediglich etablierte Technologiedienstleister zu bemühen. Denn vor allem in Einsatzszenarien, die einen schnellen ROI erfordern, können solche Start-up-Lösungen für die Automobilzulieferer eine lohnende Alternative sein.

Abschlussfrage: Wo sollten Automobilzulieferer mit KI bewusst Akzente für eine langfristig bessere Wettbewerbsposition setzen?

Trotz der derzeitigen Herausforderungen für die gesamte Automobilbranche wird der konstante Kampf um die beste Wettbewerbsposition auch mit KI nicht im Sprint, sondern im Ausdauerlauf entschieden. Dazu ist das richtige Talent essentiell. Automobilzulieferer müssen daher nicht nur die Relevanz von KI im eigenen Unternehmen überprüfen. Vielmehr gilt es, die eigenen Fähigkeiten zur Bewertung, Entwicklung und Skalierung von KI-Lösungen auszubauen und damit ein attraktives Umfeld für KI-Pioniere und ‑Begeisterte zu schaffen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass KI-Lösungen von der eigenen Belegschaft als attraktiver empfunden und stärker genutzt werden. Erst wenn das gelingt, lassen sich die erhofften Potentiale zur Kostensenkung und damit auch für eine Ergebnissteigerung aktivieren.

Auch hier erlaubt der Blick auf den Markt ein zuversichtliches Resümee: Unsere Analyse zeigt, dass die Automobilzulieferer, die sich in den letzten 18 Monaten verstärkt mit (generativer) KI befasst haben , konsequenterweise auch einen signifikanten Zuwachs an KI-Expertise erfahren haben. So besitzen die jeweils letzten 100 hinzugewonnenen Mitarbeiter der größten/KI-fokussiertesten Automobilzulieferer Branchenwissen aus einschlägigen Unternehmen. Insbesondere aus Sicht dieser Zulieferer sollte der Akzentsetzung somit nichts im Wege stehen.

Transfer von technischem Personal – Sankey-Diagramm mit reinen Technologieunternehmen, ohneTechnologieberatungsunternehmen

Quelle: Berylls by AlixPartners

Autoren
Malte Broxtermann

Partner

Clinton Charles

Senior Data Scientist

Malte Broxtermann

Malte ist Experte in der Entwicklung & Umsetzung automobiler Digitalisierungsstrategien. Sein Fokus liegt auf der Skalierung neuer Technologien zur Ergebnisverbesserung entlang der gesamten automobilen Wertschöpfungskette.
Schwerpunktmäßig berät er dazu Automobilhersteller und deren Zulieferer bei der Implementierung von (generativer) künstlicher Intelligenz und im Bereich des Software-Defined-Vehicle.
Vor seiner Beraterlaufbahn war er langjähriger Mitarbeiter des Rettungsdiensts. Er absolvierte das Studium der VWL an der Universität Maastricht und der Queen’s University in Kanada.