Unternehmenssteuerung in Zeiten der Unsicherheit

München, August 2024

Unternehmenssteuerung in Zeiten der Unsicherheit

München, August 2024
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ie erhalten wir die Steuerbarkeit des Unternehmens, wenn es größer und komplexer wird?

Wie können wir in Zeiten von veränderten Kundenbedürfnissen, neuen Technologien und Geschäftsmodellen sowie den zahlreichen geopolitischen Krisen zielgerichtet navigieren? Mit diesen Fragen befasst sich die deutsche Zuliefer-Industrie intensiv. Die Qualität des Steuerungssystems der Firma ist zur neuen Top-Management-Aufgabe avanciert.

Eine gemeinsame Untersuchung von Berylls und pims.ai¹ zeigt auf, dass über 56 % der ausgewählten strategischen Geschäftseinheiten von Automobilzulieferern nicht in der Lage sind, ihr volles Renditepotenzial von durchschnittlich 9 %² auszuschöpfen. Folglich verschenken über die Hälfte dieser Unternehmen Geld, anders als Spitzenunternehmen, die eine vergleichbare Wettbewerbsposition und ähnliche Marktattraktivität aufweisen.

Die betroffenen Unternehmen reagieren häufig mit einem Mehr an Steuerung, laufen hierbei jedoch Gefahr zu übersteuern. Sie führen eine Vielzahl von Kennzahlen ein, die zum Teil den Blick auf das Wesentliche des Geschäfts verdecken. Zudem fokussieren sie sich häufig auf die operative Steuerung des Tagesgeschäfts und weniger auf den Ausbau und die Steuerung langfristiger strategischer Erfolgspotenziale.

Es gilt also, die für das Geschäft wesentlichen Aspekte wieder in den Mittelpunkt der Unternehmenssteuerung zu rücken und eine kontinuierliche Planung und Steuerung der strategischen Erfolgspotenziale sicherzustellen. Um dies zu erreichen, kann das Konzept der sechs Schlüsselgrößen³ dem Top-Management als erfolgversprechendes Navigationssystem dienen. Gemäß empirischen Langzeitstudien erklären die sechs Schlüsselgrößen über 70 % des Unternehmenserfolgs. Das Konzept zeigt Entscheidungsträgern zwar nicht direkt, was der richtige Kurs für sie ist, aber es gibt ihnen Orientierungshilfe zur Kursbestimmung und Navigation. Im Folgenden wollen wir die sechs Schlüsselgrößen kurz vorstellen.

6 Schlüsselgrößen – Navigationssystem in stürmischen Zeiten

Marktstellung – Treiber für den nachhaltigen Geschäftserfolg

Einer der stärksten Treiber für nachhaltigen Geschäftserfolg ist die Marktstellung, häufig ausgedrückt über die Höhe des Marktanteils. Der Marktanteil ist jedoch kein Selbstzweck – Voraussetzung für die Gewinnung von Marktanteilen ist eine überlegene Marktstellung. Doch viele Unternehmen kennen die für ihr Produkt optimale Marktpositionierung nicht. Diese ergibt sich aus der Positionierung entlang der Achsen „Preis im Vergleich zum Wettbewerb“ und „kundenseitig wahrgenommene Produktqualität“; sie stellt damit den relativen Kundennutzen ins Zentrum der Betrachtung. Ein probates Hilfsmittel ist hier die Value Map, mit deren Hilfe Entscheidungsträger wertvolle Empfehlungen für eine vorteilhaftere Marktstellung ableiten bzw. korrigierende Maßnahmen festlegen können, um die angestrebte Positionierung zu erreichen. Dies veranschaulicht auch die beispielhafte Abbildung: Während der Wettbewerber „This business“ sowie die Wettbewerber 1 und 3 alle einen überdurchschnittlichen Preis anbieten, punktet „This Business“ mit seiner als am besten wahrgenommenen Produktqualität. Wettbewerber 1 und 3 müssen hingegen aufgrund der als unterdurchschnittlich wahrgenommenen Qualität mit dem Verlust weiterer Marktanteile rechnen.

pims.ai Customer Value Map für eine kompetitive Marktstellung

Innovationsleistung – Gefahr, am Marktbedarf „vorbeizuinnovieren“

Die Innovationsleistung einfach nur über eine bloße Kennzahl zu messen, greift zu kurz. Es geht vielmehr darum, die jeweilige Substitutionsdynamik am Markt zu erkennen, also die Art und Weise, mit der neue Produkte den Marktbedarf befriedigen und damit alte Produkte ersetzen. Zulieferer-Strategien sind häufig noch stark durch die eigenen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten getrieben, ganz nach dem Motto: Wenn ich ein gutes Produkt habe, muss es dafür auch ein Kundenproblem geben. Eine vorausschauende Unternehmenssteuerung muss folglich die Neuproduktentwicklung so steuern, dass sie die Geschwindigkeit, mit der sich Substitutionsprozesse am Markt vollziehen, berücksichtigt. Zusätzlich muss sie in der Lage sein, auf diese mit passenden Neuprodukten zu reagieren. Der Aufbau einer solchen Steuerungsfähigkeit ist gerade im Zuge der Transformation in der Automobilbranche absolut erfolgskritisch.

Produktivität – Umsetzung von Produktivitätsgewinnen

Die Produktivität ist eine weitere Schlüsselgröße. Gerade Zulieferunternehmen sind einem erheblichen Produktivitätsdruck ausgesetzt. Oft wird von Kostendruck gesprochen, was aber nur einen Teil der Produktivität darstellt. Es geht vielmehr darum, entweder ein gleiches Leistungsniveau bei geringeren Kosten (Input) oder bei gleichen Kosten deutlich mehr Leistungen (Output) bereitzustellen. Die Berylls-pims.ai-Untersuchung zeigt auf, dass Zulieferer mit geringeren Renditeerwartungen im Vergleich zu Spitzenunternehmen insbesondere Produktivitätspotenziale im Bereich Manufacturing & Distribution aufweisen. Diese Unternehmen tun sich häufig schwer damit, die Effekte aus aufgebauten Erfahrungskurven und Maßnahmen zur kontinuierlichen Verbesserung so umzusetzen, dass eine echte Produktivitätssteigerung erreicht wird. Schaffen es Unternehmen, ihre Produktivitätspotenziale zu heben, können sie damit ihre Wettbewerbsposition stärken und diese zur Gewinnung weiterer Marktanteile nutzen. Folglich gilt es einmal mehr, die Unternehmenssteuerung auf die Schlüsselgröße der Produktivität in Bezug auf Arbeit, Kapital und Zeit konsequent auszurichten.  

Attraktivität für gute Leute – mehr denn je eine Herausforderung für die Branche

Der Fachkräftemangel in der Automobilindustrie bei Herstellern und Zulieferern ist ein allgemein bekanntes Problem. Schaut man sich die Entwicklung bei den Nachwuchskräften an, wird es noch gravierender: Ein heutiger Supply-Chain-Absolvent hat bereits sechs offene Stellen zur Auswahl, Tendenz in den nächsten Jahren steigend.⁴ Es ist wohl auch deshalb kaum verwunderlich, dass die Attraktivität als Arbeitgeber im Hinblick auf die Gewinnung guter Leute eine weitere strategische Schlüsselgröße darstellt. Zulieferunternehmen sind jetzt angehalten, ihre Personalstrategie zu überarbeiten. Welche Fähigkeiten werden zukünftig benötigt? Können wir das notwendige Know-how selbständig aufbauen oder müssen wir dieses extern am Markt einkaufen? Wie gut sind wir darin, fähige Leute zu rekrutieren, zu halten und zu entwickeln? Häufig fehlt es den Unternehmen nicht an der Erkenntnis, was sie verbessern müssen, oder an den finanziellen Mitteln, sondern an umsetzungsstarken Führungskräften. Es braucht also Strategien, die Antworten im Hinblick auf die richtige Aus- und Weiterbildung sowie die Gewinnung guter Leute geben, um mögliche Gefahren von den Unternehmen abzuwenden.  

Liquidität & Profitabilität – ausreichende Finanzierungskraft für das Geschäft von morgen

Die Schlüsselgrößen fünf und sechs werden zusammengefasst dargestellt. Denn Liquidität und Profitabilität sind keine versteuernden Größen für das zukünftige Erfolgspotenzial, sondern eher das Resultat aus der Umsetzung des strategischen Vorhabens. Je höher das Erfolgspotenzial, desto höher auch die Wahrscheinlichkeit einer ausreichenden Liquidität und langfristigen Profitabilität. Die häufig verwendete Phrase „Wir müssen den Gewinn maximieren“ greift hier zu kurz. Um das Geschäft langfristig finanzieren zu können, ist es vielmehr entscheidend, Klarheit darüber zu gewinnen, was das Gewinnminimum ist. Denn es ist einfach, den Gewinn kurzfristig zu maximieren, indem man Investitionen nach hinten verschiebt – die kurz- und langfristig ausbalancierte Steuerung der sechs Schlüsselgrößen ist hingegen die eigentliche Top-Management Aufgabe.

Fazit

In der sich in vollem Gange befindlichen Transformation der Automobilbranche fällt das Navigieren manchmal schwer. Vor diesem Hintergrund gibt die Logik der sechs Schlüsselgrößen Entscheidungsträgern hierbei die nötige Orientierung. Die sechs Größen beschleunigen die Diskussion und die Entscheidung innerhalb der strategischen Planung und Steuerung erheblich und schützen vor Ablenkung durch Randthemen und persönliche Managementempfindungen. Dabei stellen sie zugleich auch die Anforderungen an eine gute Strategie und zwingen das Management von Zulieferunternehmen, die notwendigen Antworten zu geben bzw. zu finden. Darüber hinaus können die Größen auch als Basis für das Berichtswesen und die Ziele-Kaskadierung in den Organisationen genutzt werden. Die weitere Operationalisierung dieser Schlüsselgrößen in operative Kennziffern ermöglicht sogar eine Ausrichtung der wertschöpfenden Prozesse und damit eine enge Verzahnung zwischen dem strategisch Geplanten und dem wirklich Umgesetzten. So wird Strategiearbeit über eine klar ausgerichtete Unternehmenssteuerung produktiv und damit zu der erfolgskritischen Aufgabe für die Entscheidungsträger in der Automobilindustrie. 

¹ PIMS steht für „Profit Impact of Market Strategies“ und ist bis heute das weltweit größte empirische Forschungsprogramm im Bereich des strategischen Managements und geht bis in die 70er Jahre zurück. PIMS ermittelt mit Daten von über 4.500 Unternehmenseinheiten die wichtigsten Treiber für den nachhaltigen Erfolg von Unternehmen.  

² 9 % beschreibt den Return on Sales und damit die durchschnittliche Renditeerwartung eines Zulieferunternehmens.

³ Das Konzept der sechs Schlüsselgrößen geht auf Malik zurück.

Supply Chain Management Center der University of Maryland (2015).

Autoren
Dr. Alexander Timmer

Partner

Laura Kronen

Partner

Dr. Christopher Brüggemann

Associate Partner

Felix Riebel

Consultant

Dr. Alexander Timmer

Dr. Alexander Timmer (1981) ist seit Mai 2021 als Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) tätig, einer internationalen und auf die Automobilitätsindustrie spezialisierten Strategieberatung. Er ist Experte für Markteintritts- und Wachstumsstrategien, M&A und kann auf eine langjährige Erfahrung im Operations-Umfeld zurückschauen. Dr. Alexander Timmer berät seit 2012 Automobilhersteller und -zulieferer im globalen Kontext. Er verfügt über ein fundiertes Expertenwissen in den Bereichen Portfolioplanung, Entwicklung und Produktion. Zu seinen weiteren fachlichen Schwerpunkten zählen unter anderem Digitalisierung und der Themenkomplex rund um die Elektromobilität.
Vor seinem Einstieg bei Berylls Strategy Advisors war er unter anderem für Booz & Company und PwC Strategy& als Mitglied der Geschäftsführung in Nordamerika, Asien und Europa tätig.
Im Anschluss an sein Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen und der Chalmers University in Göteborg promovierte er im Bereich der Fertigungstechnologien am Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen.

Laura Kronen

Laura Kronen (1980) ist Partner bei Berylls by AlixPartners (ehemals Berylls Strategy Advisors) mit Schwerpunkt Transformation. Menschen zu bewegen und Organisationen voranzubringen begeistert sie. Mit über 18 Jahren Industrie- und Beratungserfahrung liegt ihr Fokus auf transformativen Fragestellungen im Operations Umfeld – vom Executive bis zum einzelnen Mitarbeiter, bei Herstellern und Zulieferern. Sie unterstützt ihre Kunden dabei, Strategie, Struktur und Kultur in ihrem jeweiligen Marktumfeld in Einklang zu bringen und somit ihre Resilienz zu stärken.

Bevor Laura Kronen zu Berylls kam, arbeitete sie bei PwC Strategy&, Volkswagen AG und Audi. Sie hat einen Diplomabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).